F. Metzger u.a. (Hrsg.): Religion, Politik, Gesellschaft im Fokus

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Titel
Religion, Politik, Gesellschaft im Fokus. Beiträge zur Emeritierung des Zeithistorikers Urs Altermatt


Herausgeber
Metzger, Franziska; Markus, Furrer
Erschienen
Fribourg 2010: Academia Press
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Josef Inauen, Universität Freiburg i.Ue.

Die Lektüre des von Franziska Metzger und Markus Furrer herausgegebenen Bandes zur Emeritierung von Urs Altermatt 2010 hat mich an eine Begegnung mit Professor Altermatt im Rahmen der Vorbereitungen meines Lizentiatsexamens erinnert. Es war gegen Ende seiner Rektoratszeit, als ich ihm die Themenbereiche vorschlug, zu denen ich im Hauptfach Zeitgeschichte von ihm gerne geprüft werden wollte: Bundesratsgeschichte, der Take-off der modernen Schweiz 1848 und die Schweiz im Kalten Krieg. Das erste Thema traf unsere beiderseitigen Interessen, hatte ich doch mehr als 30 Jahre im Bundeshaus gearbeitet und stand das Lexikon Die Schweizer Bundesräte von Prof. Altermatt stets griffbereit in meinem Büro; die Wahl der beiden anderen begründete ich damit, dass ich dazu Vorlesungen und Seminare besucht und sogar Seminararbeiten geschrieben hätte, worauf Professor Altermatt die mir stets in Erinnerung bleibende Bemerkung machte, ich hätte nicht jene Themen zu wählen, die mich, sondern jene, die ihn interessierten.

Also musste ich mich auf die Suche nach den ihn interessierenden Themenbereichen machen, wobei das Besondere der Situation darin bestand, dass ich bei ihm gar keine Vorlesungen hatte besuchen können, da er ja während seiner Rektoratszeit keine hielt. «Nur» das Lizentiandenseminar hatte ich bei ihm absolviert und ihn genau so kennengelernt, wie es David Luginbühl und Thomas Metzger in ihrem Beitrag «Urs Altermatt in der Lehre» beschreiben: die Themen und mögliche Klippen sofort und präzis erfassend, sachlich fordernd, aber immer aufbauend und motivierend; erst nach dem Lizentiatsabschluss erlebte ich ihn auch in seinen Vorlesungen als begeisternden Lehrer.

Bei der Suche nach den Urs Altermatt interessierenden Themen stand ich sofort vor einem Problem: Denn es sind, wie alle wissen, sehr viele Themen, welche Urs Altermatt in seiner wissenschaftlichen Forschungsarbeit, in seinen vielen Publikationen – mehr als 700 Titel! – und in seinen Vorlesungen und Seminaren selber bearbeitete und welche er in 30 Dissertationen und über 240 Lizentiats- und Masterarbeiten bearbeiten liess. Alle seine Publikationen und die bei ihm abgeschlossenen Arbeiten bis 2010 sind im Erinnerungsband verzeichnet, ebenso alle in einer der von ihm betreuten Reihen herausgegebenen Titel.

Doch zurück zu meiner Themensuche! Sofort realisierte ich, dass sich die Vorbereitung auf das Thema «Bundesrat» keineswegs darin erschöpfte, die Reihenfolge der Bundesräte, die Daten ihrer Wahl, ihre Amtszeit und die von ihnen geleiteten Departemente zu kennen; viel wichtiger sind ihre Sozialgeschichte, ihr Herkommen und ihre Bedeutung für die Schweizer Innen- und Aussenpolitik. Die Liste der dazu neben «Die Schweizer Bundesräte» durchzuarbeitenden, von Urs Altermatt verfassten Zeitschriften-, Zeitungs- und HLS-Artikel war sehr umfangreich. Nicht umsonst ist das «Bundesratslexikon » in der Schweizer Öffentlichkeit sein populärstes Buch. Nie hat er den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und zwischen Wissenschaft und Politik gescheut. Im Buch zu seiner Emeritierung nimmt niemand anders als Alt-Bundesrat Arnold Koller das Thema auf und würdigt den Beitrag des Emeritierten dazu. Umso erfreulicher ist, dass Urs Altermatt nach seiner Emeritierung an einer Neuauflage des Lexikons arbeitet; viele warten mit Ungeduld darauf.

Als zweites Prüfungsthema schlug ich vor: Nation – Nationalismus – Europa. Damit traf ich einen für Urs Altermatt sehr wesentlichen Themenbereich, mit dem er sich seit 1989 schwergewichtig beschäftigt und für den er mit Das Fanal von Sarajewo. Ethnonationalismus in Europa 1996 einen vielbeachteten und in mehrere Sprachen übersetzten «Klassiker» realisierte. Daneben führte ich in meinem Prüfungspaper noch rund 15 Bücher und Zeitschriftenartikel von Urs Altermatt auf, ferner Arbeiten von Markus Furrer, Siegfried Weichlein und Damir Skenderovic von der Universität Freiburg. Wie sehr sich Urs Altermatt mit der Europa-Frage beschäftigt, zeigt sich darin, dass er seine Abschiedsvorlesung, nachzulesen im besprochenen Band, diesem Thema widmete: «Verschweizerung Europas ohne die Schweiz?». Und nach 2010 ist ein weiteres Buch von ihm zur Thematik erschienen: «Die Schweiz in Europa. Antithese, Modell oder Biotop?» (2011). Der Autor erhielt dafür den «Europapreis 2011» der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz.

Im Band zur Emeritierung wird mehrere Male auf die Verdienste Urs Altermatts für die Nationalismusforschung hingewiesen, u.a. in der Festrede von Alfred Gutschelhofer, dem Rektor der Universität Graz, von Siegfried Weichlein, von Bogdan Mirtchev, Professor an der Universität Sofia, deren Ehrendoktor Urs Altermatt ist, von Josef Marko, Professor an der Universität Graz und seinerzeit Mitglied des Verfassungsgerichts von Bosnien und Herzegowina, und von Christina Späti, Mitverfasserin des Buches zur Zweisprachigkeit der Universität Freiburg. Gilbert Casasus, Professor für Geschichte der Europäischen Integration an der Universität Freiburg, nimmt die Thematik Schweiz und Europa auf. Für die Schaffung des Zentrums für Europastudien mit zwei Lehrstühlen verschiedener Fakultäten hatte sich übrigens Urs Altermatt als Rektor der Universität gegen manche Widerstände und mit Unterstützung eines grosszügigen Spenders entschlossen ein- und durchgesetzt.

Als drittes Prüfungsthema schliesslich wählte ich: Politischer Katholizismus in der Schweiz. Dazu basierte ich auf zwei weiteren «Klassikern» von Urs Altermatt: Der Weg der Schweizer Katholiken ins Ghetto, seine Dissertation von 1970 in der 3. Aufl. von 1995 (mit dem Nachwort seines Lehrers am Gymnasium Immensee, Walter Heims, zur 2. Aufl., wiedergegeben im vorliegenden Band), und Katholizismus und Moderne (in der 2. Aufl. von 1991). Es kamen aber noch weitere Publikationen von Urs Altermatt dazu, u.a. sein Buch zu Katholizismus und Antisemitismus (1999) und die von ihm geleitete Geschichte des Schweizerischen Studentenvereins (Den Riesenkampf mit dieser Zeit zu wagen ... von 1993), dann die Geschichte der Parteien in der Schweiz, geschrieben von seinem wichtigen Berner Lehrer Erich Gruner, und die Studien von mehreren Mitgliedern seiner «Freiburger Schule», u.a. von Markus Hodel, Joseph Jung, Franziska Metzger, Thomas Metzger und Bernhard Wigger. Die Bedeutung seiner These vom Weg ins Ghetto als Voraussetzung für den Weg aus dem Ghetto sowie seiner Antisemitismusforschungen wird im vorliegenden Band von Theo Salemink (Univ. Tilburg), Mark Edward Ruff (Saint Louis University, USA) und Marit Monteiro (Univ. Nijmegen) gewürdigt. Seinen Platz im Rahmen der Parteiengeschichte stellt Damir Skenderovic dar; er weist dabei besonders auf die Pionierrolle Altermatts bei der Erforschung rechtspopulistischer Bewegungen in der Schweiz und in Europa hin. Schon sein erstes Seminar an der Universität Freiburg 1980 war dem Rechtsradikalismus in der Schweiz nach 1945 gewidmet, dem dann u.a. 1995 das zusammen mit Hanspeter Kriesi herausgegebene Buch zum Rechtsextremismus in der Schweiz folgte. Dabei zeigt sich wie in anderen Forschungsbereichen das Urs Altermatt auszeichnende besondere wissenschaftliche Gespür für gesellschaftliche und politische Strömungen, die oft erst viel später von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

Damit waren die Prüfungsthemen abgedeckt. Das wissenschaftliche Spektrum von Urs Altermatt geht aber noch weit darüber hinaus. So wurden z.B. noch nicht genannt: die Universitätsgeschichte (besonders gewürdigt in diesem Band durch seinen welschen Kollegen Francis Python); seine besondere Sicht der Religionsgeschichte, deren Entwicklung in der Namensgebung dieser von ihm von 1986 bis 2012 geleiteten Zeitschrift – von der Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte zur Schweizerischen Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte – deutlich zum Ausdruck kommt; nicht seine für ihn so typische Verbindung von Geschichte und Sozialwissenschaften; nicht seine vielfältigen internationalen Verbindungen; nicht seine Verdienste als Rektor der Universität Freiburg von 2003 bis 2007, an der Emeritierungsfeier gewürdigt durch den amtierenden Rektor Guido Vergauwen.

Die Koordination zwischen wissenschaftlicher Tätigkeit und Familienleben, die Auslandaufenthalte in Stanford und Harvard in der Zeit seiner Vorbereitung auf die Hochschulkarriere, sein Wechsel von Bern nach Freiburg, die Irrungen und Wirrungen bei der Besetzung des Präsidiums der UEK, die verschiedenen Wege, die er ging, bevor er die «Hauptstrassen» seiner Tätigkeit als Universitätslehrer fand, symbolisiert mit dem Umschlagbild von Paul Klee (Hauptweg und Nebenwege): All dies wird in der Laudatio von Joseph Jung dargestellt und in sehr persönlichen Gesprächen von Urs Altermatt mit Klaus Röllin (Von Freiburg über Bern und Berlin zurück nach Freiburg) und mit Markus Furrer und Franziska Metzger (Der Zeithistoriker ist kein Richter) in Erinnerung gerufen.

Dieses Buch zu lesen ist daher nicht nur dann von Interesse, wenn man bei Urs Altermatt Prüfungen zu absolvieren hat, sondern auch und vor allem dann, wenn man einen aussergewöhnlichen Universitätslehrer, einen anregenden Forscher und einen in die Zukunft weisenden Universitätsrektor kennenlernen will. Auch sei der Band allen empfohlen, welche ihre Erinnerung an die eindrückliche Feier vom 7. Juni 2010 mit vielen Gästen, unter ihnen drei ehemalige Bundesrätinnen und Bundesräte (Flavio Cotti würdigte seine Verdienste), mit launigen Festreden, einer brillanten Abschiedsvorlesung und mit humorvollen Worten des Dankes von Urs Altermatt auffrischen wollen.

Zitierweise:
Josef Inauen: Rezension zu: Franziska Metzger/Markus Furrer (Hg.), Religion, Politik, Gesellschaft im Fokus. Beiträge zur Emeritierung des Zeithistorikers Urs Altermatt, Fribourg, Academic Press, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 759-761.

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